Manchmal möchte man zu einem fertigen Instrumental auch noch Gesang haben. Dazu sind ein Text und eine Gesangsmelodie notwendig. Wie kann man einen Songtext schreiben, wenn die Musik bereits vorhanden ist? – Ich selber schreibe oft erst den Text und dann die Melodie, bevor ein Instrumental dazu entsteht. Bei Zusammenarbeiten mit anderen Produzenten und Instrumentalkünstlern kam es jedoch auch vor, dass ich ein fertiges Instrumental vorgelegt bekam und mir dazu “den Song” überlegen durfte. Da Musik, Text und Gesang auch zueinanderpassen sollten, gar keine so leichte Aufgabe. – Zumindest wenn man sonst den anderen Weg geht und mit dem Text anfängt. Wie ich es dann doch umgesetzt habe, versuche ich nun mal zu beschreiben.
Unvoreingenommen sein
Wichtig ist, dass ich beim ersten Mal Anhören des Instrumentals wirklich Ruhe und Zeit habe. Ich muss völlig unvoreingenommen sein und mich darauf einlassen können. Ich habe oft sofort Schreibkram parat und mein Aufnahmegerät dabei. Zunächst versuche ich mich, von allem Erwartungsdruck zu befreien. Wenn mir nichts einfallen sollte, dann ist es eben so. Sollte mich die Inspiration packen, um so besser.
Das Hören
Ich höre mir das Instrumental aufmerksam an, ohne mich dabei ablenken zu lassen oder nebenbei andere Sachen zu machen. Die Musik hat meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Dabei achte ich, gleich beim ersten Mal Hören, auf Besonderheiten, die mir auffallen oder ergreifende Stellen. Es entstehen Emotionen und Bilder dazu im Kopf. Woran erinnert mich die Musik? Wär diese Musik ein Film, was würde ich dabei sehen? Ist die Musik traurig, schwermütig oder beschwingt, heiter, tanzbar oder aggressiv etc.? Was sind meine ersten Eindrücke?
„Phantommelodien“
Manchmal passiert es, dass ich anfange zu improvisieren und in meinem Kopf kleine Melodien zu dem Instrumental entstehen. Dann singe ich diese Melodien gleich mit und nehme sie sofort mit dem Aufnahmegerät oder Handy auf. Durch Obertöne verschiedener Instrumente entstehen manchmal auch „Phantommelodien“, die man zu hören glaubt, die aber nicht wirklich gespielt wurden. Auch diese Impulse fließen dann mit ein. Manchmal lohnt es sich, diese Phantommelodien auch tatsächlich zu verwirklichen. Die Gesangsmelodien entstehen ansonsten durch die Stimmung, die das Instrumental vorgibt. Auch mein Song “Ice Queen” war zunächst ein Instrumental, was ich mal ohne Absichten angefangen hatte. Erst später kamen Text und Gesang dazu. Für mich eine unübliche Vorgehensweise.
Wie kommt der Text dazu?
Es gibt Fälle, da habe ich vor langer Zeit mal ein Gedicht geschrieben, was nun auch zufällig zur Stimmung des Instrumentals passt und welches ich aus der Schublade holen kann. Dann feile ich lediglich an den Feinheiten und passe den Text an den Song an. Falls mir gleich eine Melodie für den Gesang einfällt, versuche ich den Gedichttext in dieser Melodie passend zum Rhythmus zu singen und halte die Idee wieder mit dem Aufnahmegerät fest. Habe ich noch keine Melodie, spreche ich den Gedichttext im Rhythmus zur Musik. Auch das nehme ich oft auf. Einfach, damit es mir nicht abhandenkommt.
Wenn nichts in der Schublade ist…
Habe ich zufällig kein fertiges Gedicht vorliegen, dann mache ich mir zunächst Stichpunkte. Was kann der Grund für die vorgegebene Stimmung des Instrumentals sein? Was hat den Instrumentalisten bewegt? Welches Thema passt dazu und spricht auch andere Menschen an? Welche Bilder entstehen beim Hören der Musik im Kopf? Lässt sich daraus eine Geschichte schreiben? Wer könnte der Protagonist der Handlung sein? Welches Thema würde anderen Menschen zu dieser Musik als Erstes in den Sinn kommen? Welches Thema könnte man mit dieser Musik gut unterstreichen? Alle Gedanken notiere ich mir als Stichpunkte. Fallen mir gebräuchliche Redewendungen dazu ein, werden auch diese aufgeschrieben.
Beispiel „Urlaub auf Balkonien“
Mein Song „Urlaub auf Balkonien“ ist beispielsweise wie folgt entstanden. Ich hatte mal eine Aufnahme der Umgebungsgeräusche von meinem Balkon gemacht. Da ich sehr zentral wohne, sind darauf hupende Autos, die Straßenbahn, die Sirene eines Krankenwagens, fahrende Autos, eine Kehrmaschine, klappernde Schlüssel und eine Schar aufgebrachter Spatzen zu hören. Ich wollte daraus ursprünglich eine Soundcollage machen und aus Geräuschen Instrumente werden lassen etc. Ursprünglich sollte es ein „Anti-Meditations-Stück“ werden. Dann ist mir die Redewendung „Urlaub auf Balkonien“ in den Sinn gekommen. Da ich selber fast nie im Urlaub verreise, habe ich das als Hauptthema genommen. Ich fing an, die Geräusche zu beschreiben und daraus einen Songtext zu verfassen. Die Melodie zum Gesang kam anschließend.
Songtext:
Strophe 1:
Ich schau mir ganz gern die frechen Spatzen an.
Sie piepsen fröhlich am Geländer entlang.
Und auf der Straße ist ne Menge los,
ist fast wie Kino, aber kostenlos.
Was für n Krach ringsherum, nebenan.
Das geht schon. Man gewöhnt sich daran.
Kopf aus, Beine hoch, Augen zu,
den Rest vergisst man im Nu.
Refrain:
Ich mach Urlaub jedes Jahr auf Balkonien,
neben Windspiel, Kräutertopf und Begonien,
sitz ich da und sag kein Wort
und in Gedanken bin ich fort.
Strophe 2:
Ich bin gern da, wo es am Schönsten ist,
wo die Sonne am Hellsten ist,
wo es nicht zu laut und nicht zu leise ist.
Man fühlt sich wohl, wo man zu Hause ist.
Ich fühl mich wohl, ich bin bei Dir.
Ich muss nicht weg, ich bleibe hier.
Strophe 3:
Ich fühl mich wohl, ich bin bei Dir. Oh…
Ich muss nicht weg, ich bleibe hier. Oh…
Hier ist doch schön, was will man mehr?
Wir holen den Urlaub einfach her.
Idee festhalten.
Ich muss unbedingt die Ideen, die mir sofort in den Sinn kommen, festhalten. Oft sind die ersten Einfälle mit die Besten. Somit lass ich das Aufnahmegerät sogar mitlaufen, wenn ich noch nichts zustande gebracht habe, was einer Aufnahme würdig ist. Die Zeitspanne für solche kreativen „Auswürfe“ ist oft sehr kurz und man ist auch schnell raus, wenn man abgelenkt oder gestört wird. Gerade wenn man die super Idee hatte, klingelt vielleicht jemand an der Tür oder das Telefon. Dann ist es gut, wenn man den „roten Faden“ dank der Aufnahme zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgreifen kann.
Text an Musik anpassen.
Nehmen wir an, wir haben nun zum Instrumental ein passendes Thema gefunden, haben Stichpunkte gemacht und anschließend einen sinnvollen Text daraus formuliert. Dann kann es passieren, dass nicht jedes Wort zum vorgegebenen Rhythmus passt. In diesem Fall versuche ich, zum einen die Betonung auf andere Worte zu verlagern oder auch Atempausen an andere Stellen zu verschieben. Oder ich stelle den Satzbau um, verwende stattdessen eventuell Synonyme oder andere Umschreibungen. Ich schaue auch, ob ich etwas anpassen kann, indem ich statt auf der Zwei (im Takt) anzufangen, den Text eher vorziehen oder verzögern sollte. Sodass ich vielleicht auf der Drei (im Takt) erst einsetze. Das kommt immer auf den jeweiligen Text und Song an. Da muss ich mich herantasten und viel ausprobieren.
Zusammenfassung:
Egal ob der Text sich reimt oder nicht, der Gesang sollte sich gut in das Instrumental einfügen. Wenn ich wirklich lange Wörter verwende, dann verlagere ich auch mal die Betonung im Wort auf andere Silben oder lasse eine kleine Pause im Text. Und schon kann es passen. Es ist sehr viel Feingefühl notwendig, um einen Text und den Gesang in ein bestehendes Instrumental einzupassen. Für mich finden diese Prozesse oft dennoch getrennt voneinander statt.
- Song hören und Thema finden, durch Stimmung und Bilder im Kopf
- Text schreiben aus Stichpunkten und Redewendungen
- gesprochenen Text dem Rhythmus des Instrumentals anpassen
- zum Text eine Gesangsmelodie überlegen
Alternativ in dieser Reihenfolge:
- Song hören und Thema finden, durch Stimmung und Bilder im Kopf
- eine Gesangsmelodie überlegen, ggf. Phantommelodie nutzen
- Text schreiben aus Stichpunkten und Redewendungen
- Text an Gesangsmelodie und Rhythmus des Instrumentals anpassen
Und du?
Jetzt hab ich meine Vorgehensweise beschrieben. Wie gehst du an das Schreiben eines Songs, wenn du die Musik bereits vorliegen hast und noch Text und Gesangsmelodie brauchst? Schreib es doch mal als Kommentar und lass auch gern einen Link zu einer Hörprobe von dir da, wenn du magst. Ich freue mich, dass du auf musifiziert.de vorbeigeschaut hast. Bis bald.
Jetzt bin ich mal wieder überrascht, wie klein die Welt doch ist. Auf der Suche nach Möglichkeiten zur Hausaufgaben-Unterstützung in Musik zum Thema: Textzeilen zu vorgegeben Noten kreieren, machte ich mich im Netz auf die Suche und stieß auf diese tolle Seite. Am Ende stellte ich fest, dass ich hier super Unterstützung aus der Heimat gefunden habe. Viele liebe Grüße Katrin aus Dessau