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So klinge ich doch nicht! Hörgewohnheit zur eigenen Stimme

Du warst das erste Mal in einem Tonstudio und hast Aufnahmen von deiner Stimme machen lassen? Dann hast du sicher viel vorher geübt und dich vorbereitet. Und nach getaner Arbeit am Mikrofon erwartest du gespannt das Endergebnis. Vielleicht ging es dir dann ja auch erst einmal so: Du hörtest das Resultat der Produktion und erkanntest dich gar nicht wieder. Genau so ging es mir damals auch. Aber warum ist das so? Warum diese Aufnahme nicht so klang, wie ich erwartet hatte und was unsere Hörgewohnheit damit zu tun hat, verrate ich jetzt.

Seine eigene Stimme auf einer Aufnahme hören

Fangen wir mal bei einem Phänomen an, das auch viele Nicht-Musiker kennen. Die eigene Stimme wurde irgendwann mal aufgenommenen, vielleicht auf Video oder per Audioaufnahme. Und wenn man sich dann so sprechen oder singen hört, denkt man sich insgeheim: „Oh Gott, wie peinlich. Meine Stimme klingt ja furchtbar.“ Wenn man aber andere fragt: „Hört ihr mich immer so?“, antworten die meisten Angesprochenen darauf, dass es doch völlig normal sei und man doch immer so klinge. Man selbst ist jedoch etwas verunsichert. Das ist auch verständlich, denn man hört sich ja sonst immer nur von innen sowie zusätzlich über den Raum. Und da bildet sich ein ganz anderes, ein gemischtes Klangbild von der eigenen Stimme. Zumindest anders, als es die Menschen um uns herum von außen wahrnehmen oder wie es eben auf einer Aufnahme klingt.

Zu viel Korrektur?

Wenn wir einmal dabei sind, spielt noch eine andere Sache bei unseren Hörgewohnheiten möglicherweise eine Rolle. Nämlich die Musik, die wir selbst gern hören. In meinen Gesangscoachings hatte ich oft den Eindruck, besonders die Mädels haben enorm hohe Ansprüche an sich selbst und waren mit ihrem natürlichen Stimmklang zunächst oft unzufrieden. Und da frage ich mich schon: Verzerren moderne Produktionen das Bild hinsichtlich des natürlichen Klangs der eigenen Stimme? Ich denke da an beliebte Disney-Songproduktionen, Filme oder Serien wie Pitch Perfect, Glee & Co. Zumindest wird ja dort viel „glatt gebügelt“. Gemeint ist nicht nur der oft eingesetzte offensichtliche Auto-Tune-Effekt (Cher-Effekt). Sondern auch einfach die Tonhöhenkorrektur, mit der man gezielt einzelne Töne im Gesang nachträglich in der Tonhöhe verändern kann oder unter anderem ein natürliches Vibrato glattziehen kann. Eigentlich sollte das so dezent eingesetzt werden, dass man diese Bearbeitung nicht hört. Mittlerweile ist das aber für geübte Ohren nicht nur im Pop-Bereich, sondern in vielen anderen Musikrichtungen, hörbar und zu einem Standard geworden, oft auch etwas zu offensichtlich. Und das wirkt sich natürlich ebenso auf unsere Erwartungen an den Klang aus.

Das bin nicht ich!

Aber gehen wir wieder in unsere Tonstudio-Situation zurück. Nehmen wir mal an, wir wissen, wie wir eigentlich klingen, haben schon oft genug live gesungen und kennen unseren Stimmsound aus den Monitorboxen, entweder von der Bühne oder aus dem Proberaum. Die Stimme steht hier lauter im Vordergrund, ist präsenter, der Rest ist etwas zurückgenommen. Vielleicht auch deshalb trifft ein Produzent mit seiner Produktion nicht immer den Geschmack des Künstlers, obwohl die Produktion eigentlich gut ist. Toll aufgenommen und arrangiert, gut gesungen usw. Der Künstler meint: „Aber das bin doch nicht ich! Und meine Stimme muss viel, viel lauter!“ Mag sein, dass der Produzent zum einen nicht die Instrumente oder Sounds verwendet, die man mag oder die gut zu einem passen. Vielleicht steht dem Künstler die Musikrichtung aber auch nicht so gut. Oder der Mix ist eben noch nicht ausgewogen genug. Doch dass sich ein Künstler in dem fertigen Stück nicht erkennt, kann auch mit den Hörgewohnheiten der puren eigenen Stimme des Künstlers zusammenhängen.

Klingt die Stimme pur und voll oder nur anteilig?

Als SängerIn hat man ja eine Vorstellung davon, wie man selbst klingt. Besonders, wenn man sich selbst beim Singen begleitet, wie auf der Gitarre oder am Klavier. Das klingt eben ganz pur. Da nimmt man vielleicht erst mal eine Akustikversion seines Songs auf, zum Beispiel mit dem Handy. Dabei begleitet nur dezent ein Instrument. Die Stimme hat demnach viel Platz und Raum neben dem Instrumentalen. Mit so einer unbearbeiteten Demoaufnahme gewöhnt man sich möglicherweise bereits an den Klang. In dieser einfachen Songversion bleiben auch viele Frequenzen der Stimme erhalten, die Wärme und Größe transportieren. Es klingt gewohnt. Diesen puren Klang kennt man von seiner Stimme.

Da fehlt plötzlich was in der Stimme

Im Gegensatz zum gewohnten puren Sound wird die Stimme in einem vollen Instrumental mit vielen Instrumenten in Frequenzteilen aber beschnitten. Das ist normal, notwendig und kein „böswilliger“ Eingriff durch den Produzenten. Es wird zum Beispiel ein Anteil der tiefen Frequenzen aus der Stimme entfernt. Diesen Eingriff nennt man Low Cut und der sorgt dafür, dass der Mix, vereinfacht gesagt, ausgewogen klingt. Das schafft Transparenz im Mix, Verständlichkeit der Stimme und einzelne Bestandteile setzen sich damit im Song besser durch. Aber nicht nur die Stimme wird an bestimmten Frequenzen beschnitten, auch die unterschiedlichen Instrumente, damit sich Frequenzen nicht überlagern oder auslöschen. Doch zurück zur Stimme.

Warum man die Stimme bearbeiten muss?

Für SängerInnen ohne Studioerfahrung klingt die Stimme nach so einer Bearbeitung mit EQ, wo Frequenzen entfernt oder gemindert wurden, also nicht mehr so voll, wie sie es aus ihrem Livegesang kennen. Es fehlt ihnen die Wärme und die vorher gefühlte Größe. Für sie klingt die Stimme nun flacher. Das volle Frequenzspektrum der Stimme jedoch kann bei einem üppigen Instrumental kaum erhalten werden, wenn der Gesamtmix am Ende noch professionell klingen soll. Wenn man den warmen Teil der Stimme also so mag und herausstellen will, dann könnte man auch über dezente Instrumentale nachdenken, wo viel Raum für die Stimme bleibt. So etwas wie eine einfache Klavierbegleitung zum Beispiel.

Kompression, Effekte und EQ

Ein weiterer Punkt bei der Bearbeitung der Stimme im Mix ist nicht nur der Frequenzbereich, der mit einem EQ bearbeitet wird, sondern auch die Kompression. Auch die Kompression klingt für jemanden, der seine Stimme noch nie komprimiert gehört hat, fremdartig. Selbst wenn die Kompression gut und dezent eingesetzt wurde, klingt die Stimme in Kombination mit dem EQ für eine Person ungewohnt und anders, als sie es vielleicht von der eigenen Stimme bisher kennt. Ein weitaus beliebterer Bearbeitungsschritt ist da die Breite der möglichen Effekte, die man in einem Mix auf die Stimme legen kann. Einen Hall hat sich wohl schon jeder zumindest beim Livegesang mal auf die Stimme geben lassen. Das Ohr ist also bereits daran gewöhnt und man empfindet den Effekt, wenn er denn gut eingesetzt wurde, als eher angenehm.

Man sammelt Erfahrungen. – Trotzdem unsicher?

Mit der Zeit lernt man als SängerIn, wie die eigene Stimme in einem Mix mit mehreren Instrumenten klingt bzw. klingen sollte. Und auch in der Ausbildung zum Audio Engineer lernt ein Produzent, wie man mit Frequenzen, Kompression und anderen Effekten der Stimme umgehen muss und welche Bearbeitungsschritte welche Ergebnisse erzielen. Doch selbst wenn ein Produzent alle Regeln berücksichtigt und wirklich gute Arbeit leistet, kann es passieren, dass ein unerfahrener Künstler oder eine Künstlerin am Ende denkt: „Aber so klinge ich doch gar nicht. Wo ist denn meine Größe und Wärme in der Stimme hin? Warum klingt meine Stimme so flach? Da klang es ja roh echter …“ – dann sollte man sich bewusst machen, dass die Hörgewohnheit der eigenen Stimme durchaus eine Rolle spielen kann.

Aufklärungsarbeit und Absprachen

Im Zweifelsfall ist es empfehlenswert, wenn ein Produzent unerfahrene Künstler über seine Bearbeitungsschritte und deren Auswirkungen aufklärt und vielleicht sogar Bearbeitungsverläufe demonstriert. Als SängerIn kann man andersherum peinliche Situationen vorbeugen, in dem man sich über die gängige Bearbeitungspraxis informiert und sich bewusst macht, dass es völlig normal ist, dass die Stimme im Mix etwas anders klingt, als man es bspw. aus dem Proberaum kennt. Dritte bei der Beurteilung eines Mixes einzubeziehen, die sich in diesem Bereich auskennen, ist dann natürlich auch eine gute Möglichkeit, um Unsicherheiten aus dem Weg zu schaffen. Geschmäcker sind natürlich verschieden, auch beim Mix. Also sprecht miteinander und stimmt euch ab, damit beide Seiten ein gutes Gefühl mit dem Ergebnis der Zusammenarbeit haben.

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