Zum Inhalt springen

Teil 2 – Klassik vs. Pop: Gemeinsamkeiten & Unterschiede beim Singen

Im ersten Teil ging es um die offensichtlichen Unterschiede zwischen klassischem und modernem Gesang. Auch die Ausnahmen für den Bereich Disney- und Musicalgesang haben wir uns bereits angesehen. Doch was haben nun alle Arten zu singen gemeinsam? Und wo liegen für den Sänger oder die Sängerin die Unterschiede in der Ausführung beim Singen? Darum geht es in diesem zweiten Teil. Wir schauen uns zunächst an, was beide Gesangsrichtungen in der Ausbildung verbindet. Wer also Gesangsstunden nehmen möchte und nicht weiß, ob er klassischen Unterricht nehmen oder lieber zu einem Pop-Experten gehen soll, bekommt hier erste Denkansätze für seine Entscheidung.

Klassik und Pop gesang

Gemeinsamkeiten in der Gesangsausbildung

Atmung & Stütze: In beiden Gesangsrichtungen wird zunächst der Fokus auf die richtige Atmung beim Singen gelegt. Die Rede ist von der sogenannten Bauchatmung, die so benannt ist, weil die Lunge sich nach unten ausdehnt und die Organe sichtlich in den Bauchraum drängt. Um lange, kraftvolle oder auch hohe Töne singen zu können, ist es wichtig, zu stützen. Das bedeutet, den Atem und das Zwerchfell zu kontrollieren, was durch Interaktion mit Muskelgruppen in Bauch, Lenden- und Rückenbereich geschieht.

Stimmsitz & Vokalausgleich: In beiden Gesangsrichtungen wird der vordere Stimmsitz und ein gleichmäßiger Sitz der unterschiedlichen Vokale auch in der Höhe angestrebt. Man spricht auch davon, „in die Maske zu singen“. Dafür eignen sich Übungen auf „ng“ oder „n“ sehr gut.

Intonation: Das Treffen der Töne spielt in jeder Gesangsrichtung eine entscheidende Rolle und wird in der Gesangsausbildung immer wieder durch Tonläufe und Übungen mit Intervallen geübt.

Kiefer, Lippen & Zunge lockern: Beim Singen ist grundsätzlich wichtig, dass Zunge, Lippen und Kiefer locker und nicht verspannt sind. Entsprechende Lockerungsübungen kommen zum Einsatz, zum Beispiel Lipdrills. Die Lockerheit und Beweglichkeit des Kiefers spielt bei der Artikulation eine wichtige Rolle.

Artikulation: In beiden Gesangsrichtungen wird an der Artikulation gearbeitet. Trainiert wird die richtige Ausformung der Vokale sowie die präzise Aussprache von Konsonanten, die über Zunge, Lippen, Unterkiefer und Gaumen erzeugt werden. Auch im populären Bereich muss man erst einmal verständlich artikulieren können, bevor man es bewusst zurücknimmt. Eine gute Artikulation ist nämlich auch in der Studioarbeit als Sänger/in wichtig.

Ausbau des Stimmumfangs: Sowohl im populären, als auch im klassischen Gesang arbeitet man mit Gesangsübungen am Ausbau des individuellen Stimmumfangs nach oben und nach unten.

Körper & Energie: In beiden Genres lockert man den Körper mit leichten Übungen, wärmt die Stimme vor dem Singen auf und bringt sich in eine gute Energie. – Ähnlich wie im Sport. Denn Singen ohne eine gewisse Grundenergie kann ebenfalls der Stimme schaden. Dabei sollte man weder überspannt, noch „unterspannt“ sein.

Rhythmik: In beiden Gesangsstilen sind Timing und Rhythmik wichtig, ganz besonders, wenn man nicht solo a cappella singt, sondern mit Begleitung auftritt.

Unterschiede in der Ausführung

   Klassischer Gesang

Vokale: In der Klassik werden hohe Töne eher auf dem Vokal „a“ oder auch „u“ gesungen. Sie sind voller und runder im Klang.

– In der klassischen Variante wird der lockere Unterkiefer auch in der Höhe beibehalten.

– Ein gehobenes Gaumensegel sowie der eher tiefgestellte Kehlkopf sorgen für den vollen, typisch klassischen Klang.

– Im Klassik- bzw. Operngesang kommt die berühmte Schnutentechnik zu Einsatz, die ebenfalls für den markanten Klang wichtig ist.

– Im klassischen Bereich wird sehr viel mehr auf eine gute Körperhaltung geachtet. Das sieht nicht nur vornehmer aus, sondern hilft auch im „Hochleistungssingen“.

– Übertriebene Mimik beim Singen versucht man im klassischen Bereich zu vermeiden  oder baut sie bewusst in schauspielerische Parts ein.

Einsatz: Der Ton wird mit einer guten Vorbereitung eingeschwungen.

Lage: In der Klassik singt man sehr viel mehr in der Kopfstimme, als im Pop, weil die Tonlagen der Stücke sehr viel höher sind.

Bruch: Die Übergänge zwischen Brust- und Kopfstimme dürfen nicht hörbar sein, es wird ein einheitlicher Klang in allen Lagen angestrebt.

– Auf Vordersitz der Stimme wird geachtet, jedoch wird der metallische Klang eher gemieden.

– Nur in der Klassik: Bel Canto, eine Gesangstechnik, die „schöner Gesang“ bedeutet und als klassischer Gesangsstil im 16. Jh. in Italien entstand. Charakteristisch sind u. a. die Weichheit der Töne und eine ausgeglichene, agile Stimme in allen Registern, die aufgrund dessen in der Lage ist, den Gesang z. B. mit Koloraturen auszuschmücken.

– Im klassischen Gesang hört man immer ein gleichmäßiges Vibrato in der Stimme.

– Im klassischen Bereich singt man nicht nach Klick und eigentlich auch nicht zu einem Halbplayback. Das sind eher Ausnahmen. Die Musiker im Orchester begleiten den Sänger, der Dirigent gibt ihnen das Tempo vor.

   Moderner Gesang

Vokale: Im populären Gesang werden hohe Töne eher auf „i“, „e“ oder „ä“ gesungen. Sie sind schärfer und spitzer im Klang. „Yeahhh!“

Unterkiefer: In Zusammenhang mit „dem Biss“ und der breiten, flachen Zunge hinter den unteren Schneidezähnen sorgt der leicht vorgeschobene und heruntergeklappte Unterkiefer dafür, den Schallwellen Platz zu schaffen und hohe kernige Bruststimmtöne zu erzeugen. Eine Verspannung des Kiefers gilt es dennoch zu vermeiden.

– Das Gaumensegel bleibt meist normal und wird im Pop nur bei höheren Tönen geweitet und auch die Position des Kehlkopfes ist eher neutral, mit Tendenz leicht nach oben (siehe Twang.) Das kommt auf die Stimmfarbe an, die man einsetzen möchte.

– „Der Biss“ ist eine bestimmte Stellung des Unterkiefers und bringt eine gewisse Schärfe in die Töne.

– Im Pop & Rock Gesang wird oft stark die Mimik für den Sound eines Tones eingesetzt. Manche Sänger/innen verzichten jedoch auf ausgeprägte Mimik, um den “Coolness-Faktor” zu erhöhen.

Einsatz: Der Ton wird eher direkt angesungen, statt eingeschwungen.

Lage: Im Pop singt man mehr in der Brust- oder Mittelstimme, da es um das Erzählen von Geschichten geht und dieser Stimmklang der Sprechstimme ähnlicher ist.

Bruch: Der Übergang zwischen den Registern kann hörbar abgesetzt, gemischt oder nahtlos sein. Man spielt auch mit dem Bruch.

Twang ist für den typischen Popklang verantwortlich. Es ist ein metallischer Klang, der durch Vordersitz und durch Verkleinerung der Öffnung des Kehlkopftrichters entsteht.

– Eher im populären Bereich: Belting, eine Gesangstechnik mit Twang, die soviel bedeutet wie, mit schmetternder Stimme zu singen und wird daher auch als sehr laut empfunden.

– Im Pop wird kaum Vibrato eingesetzt. Im Soul hingegen ist es nicht wegzudenken. Da unterscheiden sich auch die unterschiedlichen Genres im populären Bereich.

– Im Studio oder bei Auftritten mit Halbplaybacks muss man sich als Sänger dem vorgegebenen Tempo bzw. Klick anpassen.

Fazit:

Wer mit Gesangsunterricht beginnt, kann die Grundlagen für das Singen sowohl im klassischen Unterricht als auch beim Pop-Experten erlernen. Die weiterführenden Ausprägungen in jeweilige Richtungen sind erst der zweite Schritt, nachdem Atmung, Stimmsitz, Artikulation etc. sitzen. Dann kann man sich immer noch Themen wie Effekten und Verzierungen im Gesang widmen oder fortgeschrittene Gebiete wie Belting oder Operngesang kennenlernen. Der gemeinsame Nenner, die Stimme als Instrument zu nutzen, ohne ihr Schaden zuzufügen, und das Treffen der Töne (sowie die Interpretation der jeweiligen Stücke) sind jedenfalls Grundlage jeder Gesangsrichtung.

In meinen Gesangsstudien und Recherchen treffe ich übrigens immer wieder auch auf umstrittene Aussagen sowie widerlegte Erkenntnisse aus Medizin und Wissenschaft. Viele unterschiedliche Gesangsexperten vertreten demnach auch sehr unterschiedliche Ansätze und Sichtweisen. Ich denke, man sollte seine Stimme und seinen Körper, genau wie im Sport, einfach gut beobachten, ausreichend trainieren und aufhören, bevor es schmerzt. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Gesangsrichtungen erkennt man dabei vermutlich am Besten, wenn man selbst beide Stile mal kennengelernt und ausprobiert hat. Hast du auch noch eine Ergänzung zum Thema oder eine eigene Beobachtung oder Erfahrung gemacht, dann hinterlasse gern einen Kommentar. Ich freue mich, dass du auf musifiziert.de vorbei geschaut hast. Bis bald.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert