Zum Inhalt springen

Depression & Angststörung als Musikerin – Meine Geschichte

Das Thema Mental Health hat auch bei uns Kulturschaffenden gerade in den letzten Jahren größere Bedeutung erfahren. Ich möchte aber in diesem Beitrag nicht allgemein über das Thema schreiben, sondern konkret meine Geschichte erzählen und die Erfahrungen teilen, die ich persönlich mit Depression & Angststörung als Musikerin gemacht habe. Vielleicht als Aufklärung, zur Prävention, zur Erkennung eigener Symptome. Oder einfach, um zu zeigen, dass man als Betroffene nicht allein damit ist. Ich dachte, dass es deshalb auch eine neue Kategorie auf meinem Blog hier geben sollte. Mental Health wird in der heutigen Zeit zunehmend relevanter – auch die Leute bei der Gema haben das erkannt und bereits Webinare zu dem Thema angeboten. Aber fange ich mal mit meiner persönlichen Geschichte an.

Letzte Versuche zur Selbstregulation

Nach dem Blogbeitrag Unmotiviert oder einfach nicht erholt? – Kreative Blockaden verstehen im April 2022, mein letzter Versuch meine Situation bzw. mein Befinden für mich zu ordnen und vielleicht einen Sinn dahinter zu sehen, war lange Zeit Ruhe. Ich musste mir eingestehen, dass es bei mir etwas Ernsteres sein muss und war seit dem fast ein Jahr lang krankgeschrieben und in Psychotherapie. Vor zwei Wochen hatte ich meine vorerst letzte Einzelsitzung. Eine lange Zeit also. Zu Beginn und zwischenzeitlich half es mir noch Tagebuch zu schreiben. Auch den Text zum Song „It’s okay“ zu schreiben, sollte mir (wie üblich) helfen, meinen Zustand und meine Gefühle zu verstehen und zu regulieren. Aber dann war quasi auch schon Ebbe auf der Kreativ-Ebene und es ging gar nichts mehr!

Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Mein Besuch beim Hausarzt.

Ich hatte nicht nur Probleme in den Supermarkt oder die Öffentlichkeit zu gehen, die Wohnung zu verlassen und unter Menschen zu sein, auch Arztbesuche waren mit Angst und körperlichen Symptomen besetzt. Ich zog mich komplett zurück. Auftritte waren ja schon länger ein Problem für mich geworden, wie sich rückblickend bereits seit dem Beitrag Die Bühne und ich grob abzeichnete. Trotzdem ging es jetzt nicht anders. Ich musste einsehen, dass mit mir etwas nicht stimmte und wagte mich also zu einem Termin beim Hausarzt. Der hörte sich meine Beschwerden an, machte es sich zur Aufgabe körperliche Ursachen zunächst auszuschließen und durch einen Depressions-Fragebogen sowie nach einer ausführlichen Anamnese stand dann die Hauptdiagnose „rezidivierende depressive Störung schwere Episode“ auf dem Krankenschein.

Einweisung in Tagesklinik

Weil ich mich nicht stationär in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen wollte, war die schnellste Lösung die Aufnahme in eine Tagesklinik. Schon in der Folgewoche sollte ich mich da vorstellen. Weil jedoch bereits jemand aus meinem persönlichen Umfeld zur selben Zeit dort in Behandlung war und ich nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln in eine Tagesklinik außerorts fahren konnte, ließ ich mich auf die Warteliste setzen, bis die Person entlassen wurde. Ich hätte nicht gedacht, dass es so vier Monate bis zu meiner Aufnahme dauern würde, aber die Aussicht auf einen Therapieplatz half mir umgehend mich etwas zu beruhigen. In der Zwischenzeit las ich viel, informierte mich, hörte Podcasts (z.Bsp. Interviews mit Angsthasen oder Psychologie to go). Zu wissen, dass es anderen auch so geht, war eine erste Erleichterung für mich.

Meine Symptome aus Depression & Angststörung

Ich ging vorrangig wegen der körperlichen Beschwerden zum Arzt, dachte aber schon, dass es wohl psychosomatischer Natur ist. Ich hatte permanent einen Kloß im Hals und die Stimme fühlte sich fragil an und brach sogar beim Sprechen weg. (siehe: wie singt man, wenn man…) Ich hatte ein seltsames kaltes Gefühl den inneren Hals runter zum Magen, Kopfschmerzen und Verspannungen mit Schmerzen, die sich wie Pfeile im Rücken anfühlten. Und es war, als läge ein schwerer Felsen auf meinem Brustkorb, der mich erdrückte. Ich grübelte extrem viel und heulte oft und scheinbar ohne zu wissen warum, hatte auch „Lebensüberdrussgedanken“. Mir fehlte der Antrieb, die Konzentration und Energie, zudem hatte ich Schlafstörungen, starke Zukunfts- und Existenzängste sowie Angst meine Identität zu verlieren (immerhin war ich ja „nur“ Künstlerin und das stand auf der Kippe).

Ich fühlte mich irgendwie einsam, verlassen und auch ausgegrenzt. Dann machte mir auch eine Geräuschüberempfindlichkeit zu schaffen, die mich sehr schreckhaft werden ließ. Auch das Gefühl im Kopf, dass die Nerven einfach überreizt sind, war extrem unangenehm. Meine üblichen Verdauungsbeschwerden nahmen zu und auch meine Haut spiegelte mein Unwohlsein im Gesicht wider. Erst in der Tagesklinik, als ich dort plötzlich außerdem wieder eine Panikattacke erlebte, wurde klar, dass es sich bei all den Symptomen nicht nur um eine Depression, sondern auch um eine Angsterkrankung handelte.

War es das erste Mal für mich?

Bereits im Jahr 2016 war ich schon einmal bei meinem Hausarzt, weil ich mit einer Panikattacke und Hyperventilation in der Notaufnahme gelandet war. Auch da waren es hauptsächlich Symptome einer Depression, mit denen mich mein Arzt in die Tagesklinik schicken wollte. Damals war ich aber noch nicht bereit dazu, weil ich noch aktiver als Musikerin in der Öffentlichkeit stand und mir nicht vorstellen konnte, mich in einer Gruppentherapie vor anderen Menschen als depressiv zu outen. Ich hatte stattdessen zwei Gespräche bei einem Psychotherapeuten, der aber nicht die Notwendigkeit für eine Therapie sah. Ich konnte meine „Schwäche“ noch gut verbergen und hatte alle möglichen Erklärungen, warum es mir eben gerade mal nicht so gut ging. Rückblickend war es sogar gut, damals als „gesund“ nach Hause geschickt zu werden. Ich dachte, ich hätte mir das dann eben alles nur eingebildet und konnte wieder weitermachen wie bisher. Heute würde ich darüber den Kopf schütteln, aber damals half es mir, mich zumindest nicht in der „Opferrolle“ zu fühlen und so neue Kraft zu schöpfen.

Wie war es in der Tagesklinik?

Nach der Wartezeit ging es im Herbst endlich los. Ich musste früh den Weg hin in die Klinik und nachmittags zurück bewältigen, was für mich (die bis dato kaum die Wohnung verlassen konnte und die Öffentlichkeit mied), jeden Tag eine Herausforderung mit diversen Angstsymptomen war. Dort jedoch gab es dann eine Struktur und einen Plan, ich hatte wieder Kontakt zu Menschen und bekam obendrein sogar Mittagessen (das ließ ich zu Hause oft ausfallen und aß nur wenig). Es gab wöchentlich ein Einzelgespräch und auch Gruppengespräche sowie Bewegungs-, Mal- & Ergotherapie, aber auch Informationsgruppen über Depressionen, somatoforme Störungen und Angsterkrankungen etc., an denen ich teilnahm. Dennoch denke ich, das Zusammensein und der Austausch mit meinen Mitpatienten hatten wohl den größten Anteil an meiner Besserung.

Depression & Angststörung: zwei Paar Schuhe

Ich begann meine Therapie mit der Erkenntnis bzw. der Erst-Diagnose, eine Depression zu haben. Bis zum Ende hin meiner Zeit in der Tagesklinik lernte ich aber, dass ich meine Symptome differenziert betrachten muss. Einmal die depressiven Symptome und zum anderen die Angstsymptome. Ich wurde gebeten, diese auch mal als Bilder getrennt voneinander darzustellen. Erst in der Epikrise am Ende gab es dann eine konkrete Diagnose, mit der ich aus der Tagesklinik entlassen wurde. Zum einen stand dort eine mittelgradige depressive Episode und zum anderen eine Agoraphobie mit Panikstörung. Jetzt war ich zumindest schon etwas schlauer.

Die Depression stand im Fokus und diese regulierte sich (mit Hilfe zur Selbsthilfe) durch die Therapie, bestimmt auch durch die Zeit sowie die Lebensumstände fast vollständig. – Ohne Medikamente! (Wollte ich nicht, auch wenn es mir mehrfach empfohlen wurde.) Die Agoraphobie ist immer noch eine meiner Baustellen, die ich bearbeiten muss und durch kleine „Mutproben“ (die normalen Dinge im Alltag wie einkaufen gehen, im Restaurant essen, Veranstaltungen besuchen etc.) versuche zu überwinden. Panikattacken hatte ich seit der Tagesklinik nicht mehr, aber ich habe auch gelernt, erste Anzeichen dafür zu erkennen und durch gezielte Verhaltenstechniken zu verhindern bzw. zu überwinden. Auftritte in der Öffentlichkeit kann ich mir trotzdem vorerst nicht vorstellen, auch wenn ich sehr an mir arbeite.

Meine depressiven Symptome
meine Symptome, die ich der Angst zuordnete

Dauer der Therapie

In der Tagesklinik bemerkte ich, dass die Dauer des Aufenthalts bei jedem Patienten unterschiedlich lang war. Manche waren sechs Wochen da, andere zehn Wochen. Ich war 15 Wochen dort, aber es gab auch Leute, die noch länger brauchten. Das hing vom Einzelfall ab, aber auch davon, wie lange die Krankenkasse bereit war, die Kosten der Therapie zu übernehmen. Zudem standen ja auch schon wieder neue Patienten auf der Warteliste. Man empfahl mir, nach der Entlassung aus der Tagesklinik, eine ambulante Einzeltherapie (im Bereich Tiefenpsychologie) zu machen. Irgendwie schien es auch schwer zu sein für Außenstehende zu verstehen, dass eine Musikerin eine „Selbstwertproblematik“ haben könnte, wo doch nach außen hin (dank Onlinemarketing) alles so fein inszeniert werden kann. Glücklicherweise konnte ich zeitnah mit der Einzeltherapie anknüpfen. Nachdem ich dort ein dreiviertel Jahr jede Woche zur Einzelsitzung ging und jedes Mal aufgewühlt, verschwitzt und teilweise heulend nach Hause ging, bin ich nun zunächst durch damit und gehe vorerst nur noch bei Bedarf hin.

Was waren die Ursachen für die Depression?

Keine Ahnung, was genau zu der Krankheit führte. Am Ende ist es wohl immer ein Zusammenspiel verschiedener Ursachen, Umstände und Persönlichkeitsmerkmale. Ich schätze, die Coronakrise und die damit verbundenen Existenzängste sind sicher ein Auslöser gewesen. Auch, dass ich mich so ausgegrenzt und abgewertet fühlte – z. Bsp. als „nicht systemrelevant“. Oder vielleicht weil Kontakte aus meinem Umfeld über mich urteilten, mir aus dem Weg gingen, ohne eigentlich irgendetwas über mich zu wissen. Sollte mir ja eigentlich egal sein, tut es aber nicht. Ich bin eben auch nur ein Mensch, ein etwas sensibler dazu! Mein Nachteil, ich bin von Natur aus sehr grüblerisch, was also ebenfalls ein Grund sein kann. Auch das fehlende Selbstwertgefühl und der Verlauf mancher Beziehungen könnten eine Ursache darstellen. Ich dachte außerdem daran, dass ich ohne meinen Beruf als Musikerin keine Identität mehr hätte, aus der ich meinen Wert noch ziehen könnte. Also vielleicht war es auch irgendwie eine Identitätskrise? Wer weiß. Es hat sich alles über einen langen Zeitraum entwickelt, bis irgendwann der Punkt erreicht war, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Und? Hat mir die Therapie geholfen?

Insgesamt schon. Ich bin nicht sicher, ob mir die Provokationstechnik (am Anfang der tiefenpsychologischen Therapie) und Ursachenforschung, das verständnisvolle Zuhören und Hinterfragen der Therapeuten in der ganzen Zeit und damit auch das eigene Reflektieren, geholfen hat. Oder ob es die neuen Kontakte durch meine Mitpatienten, eine neue Alltagsstruktur, das Annehmen der täglichen Herausforderungen des Alltags (Expositionstraining) oder einfach die Lebensumstände waren, die sich bei mir verändert haben und mir damit zur Besserung verholfen haben. Denn da tat sich auch einiges.

Privates hat Auswirkungen auf Krankheitsverlauf

Im Sommer 2022, als ich noch auf meinen Therapieplatz wartete, endete meine 15-jährige Beziehung. Daraus wurde eine Freundschaft, ein endgültiger Abschluss war aber noch notwendig. Im Herbst 2022, während meiner Therapie, zog mein Kater Gismo bei mir ein. Ich sehe ihn gern auch als „Therapiekatze“, weil ich glaube, dass er auch wieder Licht in mein Leben brachte. Und im Frühjahr 2023 bekam ich als Musikautorin ein weiteres Arbeitsstipendium (eine Förderung zur Erhaltung der Kultur), was den finanziellen Druck und die damit verbundenen Existenzängste nach dieser langen Auszeit zunächst abmilderte. Aber auch eine neue Beziehung und damit ein neuer Lebensabschnitt haben mir 2023 sehr geholfen, zumindest emotional wieder aus meinem Tief zu kommen. Vermutlich hat all das seinen Anteil an meiner Genesung. Die nächsten Veränderungen sind bereits im vollen Gange. Darüber schreibe ich aber erst, wenn ich da „durch bin“ und was zu sagen habe.

Was hat sich nach der Depression verändert?

Im Nachhinein kann ich darüber schreiben, weil ich es jetzt vorerst hinter mir habe und es rückblickend selbst besser verstehen kann. Ich bin nun noch verständnisvoller und mitfühlender den Menschen gegenüber, die mit Depressionen und Angststörungen zu kämpfen haben. Ich weiß auch, dass man es sich nicht wirklich vorstellen kann, wenn man selbst noch nicht daran erkrankt war. Oft hörte ich nur die gutgemeinten Sprüche meiner Mitmenschen wie „Kopf hoch“, „Du musst nur wollen“, „Mach dir doch mal eine schöne Kerze an“, „Geh doch mal an die frische Luft“, „Lass dich nicht so gehen“, „Du bist eben zu empfindlich“ und so weiter. Es gab kaum Menschen in meinem Umfeld, schon gar nicht in der Familie, die selbst bereits einmal in der Situation waren und die mit diesen psychischen Krankheiten etwas anfangen konnten (ohne ihnen damit jetzt einen Vorwurf machen zu wollen). Mir ist bewusst, dass eine depressive Episode auch jederzeit einfach wiederkommen kann und dass auch die Agoraphobie sich immer wieder aufs neue zeigen kann. Aber ich weiß nun zumindest, worauf ich bei mir achten muss, um es gar nicht erst zu einer schweren Form werden zu lassen. Und ich weiß endlich auch: Hilfe anzunehmen ist keine Schande!

Wenn du Hilfe brauchst:

Zögere nicht, dich an einen Arzt zu wenden und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auch über die deutsche Depressionshilfe findest du weitere Anlaufstellen. (Link: Depression – Wo finde ich Hilfe? – Stiftung Deutsche Depressionshilfe (deutsche-depressionshilfe.de) )

Ein Gedanke zu „Depression & Angststörung als Musikerin – Meine Geschichte“

  1. Liebe Sabine,
    vielen Dakl für Deinen sehr berührendnen Artikel zu Deiner so persönlichen Geschichte. Das ist wirkllich sehr mutig und auch aufschlussreich. Deine Bilder finde ich auch großartig dazu. Ich wünsche Dir alles Liebe und dass Du wieder ganz frei von Ängsten und schweren Gefühlen Deine wunderbare Musik machen und leben kannst:
    Herzliche Grüße
    Clara

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert